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ließ.
Allmählich kamen die Reiter vom Wald her näher. Tobias
befand sich in einem sonderbaren Zustand zwischen morbi-
der Faszination und panischer Angst. Seine Furcht hatte
einen Punkt erreicht und überschritten, der sie schon wieder
unwirklich erscheinen ließ. Vielleicht war er auch verrückt,
dachte er hysterisch. Vielleicht träumte er das alles nur.
Oder er lag noch immer in Bressers Schlafzimmer und rang
mit dem Tod, und dies war nur eine weitere böse Vision, mit
der ihn sein fiebergeplagter Geist peinigte.
Sein Blick tastete unstet über die Masse dicht bei dicht ste-
hender Körper. Er erkannte ein paar Gesichter: Temser, seine
Knechte, Bresser - selbst Maria stand inmitten dieser fürch-
terlichen Prozession; Katrin aber entdeckte er nirgendwo.
Die Reiter waren nun bereits nahe genug, daß Tobias sie
zweifelsfrei als die gleichen, knochengesichtigen Gestalten
erkennen konnte, die er in jener Nacht am Fluß gesehen
hatte, als sie Jagd auf Derwalt machten. Ihre Totenköpfe
schienen ihm spöttisch zuzugrinsen, und als sie in den
flackernden Kreis blutroter Helligkeit eintauchten, den die
Fackeln in die Nacht brannten, da sah er, daß ihre Gesichter
und die dünnen Skeletthände in einem unheimlichen, grün-
lich-blauen Licht schimmerten, als strahlten sie unter einem
unheimlichen, inneren Glanz; demselben, kalten Feuer, das
auch der See im Wald verbreitete.
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Tobias schob sich weiter vor und den Hang hinab, bis
seine zitternden Hände fast in den roten Lichtschein gerie-
ten. Er war sich der Tatsache vollkommen bewußt, daß er
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mehr als leichtsinnig handelte. Eine einzige, unbedachte
Bewegung, ein unvorsichtiger Laut oder auch nur ein zufäl-
liger Blick eines der Männer und Frauen dort unten, und er
war verloren. Aber das alles spielte keine Rolle mehr. Er war
nahe daran, das düstere Geheimnis zu lüften, das Buchenfeld
und seine Einwohner umgab.
Die Reiter hielten. Nur einer von ihnen ritt noch ein Stück
vor, bis er sich der Mauer aus Männern und Frauen auf
weniger als einen Steinwurf genähert hatte. Dann zügelte
auch er sein Tier und richtete sich im Sattel auf. Gleichzeitig
hob er die Hand zu einer befehlenden Geste. Er sagte nichts,
aber einer nach dem anderen sanken die Teilnehmer der Pro-
zession auf die Knie; nicht gleichzeitig, sondern nacheinan-
der, so daß eine schwerfällige, gleitende Wellenbewegung
durch die Menschenmenge zu laufen schien, an deren Ende
sie alle mit gesenkten Häuptern auf den Knien lagen. Es war
ein unheimlicher Anblick, aber einer, der trotz des
Schreckens, mit dem er Tobias erfüllte, eine gewisse Faszina-
tion ausstrahlte. Er konnte die Macht, die die Gestalt mit
dem Totenkopfgesicht über diese Menschenmenge hatte, bei-
nahe anfassen, so intensiv fühlte er sie.
Eine ganze Weile geschah gar nichts. Der Knochenreiter
ließ den Blick seiner unheimlichen, leeren Augen über die
Menge gleiten, als weide er sich am Anblick der demütig
gesenkten Häupter - oder als zöge er Kraft aus ihm. Die
Furcht, die die Gestalt mit dem unheimlichen Knochen-
gesicht verbreitete, weckte etwas in diesen Menschen, etwas,
das sie wiederum in sich aufnahmen; ein Strom unsichtba-
rer, pulsierender Energie, der von der knienden Menge in
den einzelnen Reiter hinüberfloß und seine Macht und den
Terror, den er verbreitete, noch stärkte.
Der Knochenreiter schien sich an der Furcht der Men-
schen zu laben, er trank sie, wie ein düsterer, menschengro-
ßer Vampir das Blut seiner Opfer. Dann, nach einer Ewig-
keit, wie es Tobias schien, senkte er die Hand wieder, und
die Häupter hoben sich. Die Betenden (obwohl ihm allein
diese Formulierung wie Gotteslästerung erschien, fand
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Tobias kein anderes Wort für das, was er sah) erhoben sich
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nicht, aber sie wagten zumindest ihren düsteren Herrn anzu-
blicken. Tobias konnte den Ausdruck auf einigen Gesichtern
erkennen: Es war nicht nur Angst, sondern ebenso eine
wilde, satanische Freude, ein Erwarten, das ihn innerlich
frösteln ließ.
Noch immer rührte sich der Knochenreiter nicht. Aber
jetzt setzten sich die anderen, wie auf ein geheimes Zeichen
hin, wieder in Bewegung, so daß auch diese zweite, kleinere
Gruppe einen Halbkreis bildete, die Hälfte eines kleinen Rin-
ges, der von der größeren Hälfte eines viel größeren umge-
ben wurde . . .
Und erst jetzt erkannte Tobias, daß es nicht nur ein Halb-
kreis war. Die Linie der Buchenfelder bildete drei scharfe,
voneinander abgegrenzte Halbkreise, immer einer größer als
der andere, so daß - wenn er die Figur in Gedanken vollen-
dete - sich ein System konzentrischer, immer kleiner wer-
dender Ringe bildete, in dessen Zentrum sich das Dutzend
Knochenreiter befand. Und der Anblick erinnerte ihn an den
Hexenkreis im Wald, den er selbst gesehen und den er in sei-
nem Traum auf so furchtbare Weise wieder besucht hatte.
Der monotone Summgesang der Menge begann sich nun
zu ändern. Ihre Lippen bildeten noch immer diese scheinbar
sinn- und bedeutungslosen Laute, aber der Rhythmus wurde
schneller, hektischer und zugleich noch drohender. Gleich-
zeitig begannen sie, die Oberkörper sanft hin- und herzuwie-
gen, wobei sich die drei Halbkreise, die sie mit ihren Leibern
bildeten, gegeneinander bewegten, so daß die ganze riesige
Menschenmenge zu einer einzigen zuckenden Masse zu wer-
den schien. Der Knochenreiter besah sich auch dieses Schau-
spiel eine geraume Weile schweigend, dann hob er wieder
die Hand, und nicht nur die Bewegung, sondern jeder Laut
der Menge verstummte abrupt. Es wurde fast unheimlich
still. Selbst der Wind war erloschen, als hielte die Natur den
Atem an angesichts des gotteslästerlichen Geschehens, das
sich hier abspielte.
»Genug!« rief der Mann mit dem Knochengesicht mit weit
schallender, unheimlich dröhnender Stimme. »Ich habe euch
heute nicht gerufen, um mich anzubeten!«
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Tobias konnte spüren, wie die Furcht abermals nach den
Herzen der Menschen griff. Die meisten Köpfe senkten sich,
und auf den Gesichtern derer, die es noch wagten, den apo-
kalyptischen Reiter anzusehen, machte sich fassungsloses
Entsetzen breit; die gleiche Art von tödlicher, durch nichts
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