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Dennoch werden die Mikroben von uns Menschen hartnäckig
unterschätzt, vielleicht weil sie so viel kleiner sind als wir.
Stephen Jay Gould schlägt vor, wir sollten diesen Chauvinismus
aufgeben und das gegenwärtige Zeitalter als die Ära der Bakterien
bezeichnen, so überwältigend sei die Übermacht dieser winzigen
Geschöpfe hinsichtlich ihrer Menge und Vielfalt. So genannte
«höhere» Organismen wie Menschen, Hunde und
Schlüsselblumen besetzen dagegen nur einige der äußeren
Zweige des Lebensbaums.
Ihre Winzigkeit ist nicht der einzige Grund, weshalb Mikroben
gewöhnlich übersehen werden. Im Labor sind sie nicht leicht zu
züchten, und in der Wildnis verhalten sich viele von ihnen äußerst
unauffällig. Zudem erscheinen viele verschiedene Bakterienarten
auf den ersten Blick als identisch, weshalb die Mikrobiologen sie
bis vor kurzem in Klassen zusammenzufassen pflegten. Erst die
modernen Entschlüsselungstechniken der Molekularbiologie
haben es ermöglicht, die tatsächlichen genetischen Unterschiede
zu erkennen. Bakterien, die unter dem Mikroskop gleich
aussehen, haben bei näherem Hinsehen weniger Gene
miteinander gemeinsam als mit einem Menschen.
Gould weist darauf hin, dass die Erde sich seit dem ersten
Auftauchen von Leben im Zeitalter der Bakterien befindet. Die
längste Zeit gab es auf unserem Planeten nichts als Mikroben
eine ernüchternde Tatsache, die nachdenklich stimmt. Da die
ersten Lebewesen Mikroben waren, können wir auf wichtige
Hinweise auf den Ursprung des Lebens hoffen, indem wir heute
existierende Einzeller studieren. Ungewöhnliche Merkmale oder
Komponenten, die heute keine Funktion mehr haben eine Art
«Blinddarm» der Mikroben , könnten uns Einblick in eine längst
vergangene Biochemie gewähren. Möglicherweise tragen lebende
Mikroben gar noch komplette Moleküle aus einer präbiotischen
Welt in sich.
Aus Informationsfetzen, die man aus lebenden Mikroben
gewinnt, kann man sich am Ende vielleicht ein Bild machen, was
die Urorganismen waren und wo und wie sie gelebt haben
könnten. Bloßer Augenschein genügt jedoch nicht, denn die
Anatomie der Mikroorganismen liefert kaum Hinweise auf ihre
Entwicklungsgeschichte oder eine mögliche Klasseneinteilung:
Sie haben keine Arme und Beine, keine Kiemen oder Lungen und
keine Augen und Ohren, deren Aufbau man vergleichen könnte.
Wie ich noch darlegen werde, finden sich die Eigenschaften, die
Mikroben mit ihren frühen Vorfahren verbinden, im
Wesentlichen in der Biochemie, in ihrer genetischen
Zusammensetzung und den Stoffwechselbahnen, denen sie
folgen. Zum Glück verschaffen uns heute die Techniken der
modernen Molekularbiologie Zugang zu solchen Informationen.
Die zum Teil verschütteten biochemischen Spuren sind wie
Fragmente antiker Schriftrollen mit halb vergessenen Texten und
bieten faszinierende Einblicke in eine Evolution von fast vier
Milliarden Jahren.
Doch wo sollen wir nun, da es so viele Mikrobenarten gibt, nach
einer besonderen Häufung solcher molekularer Anhaltspunkte
suchen? In der heutigen Welt fallen die Bakterien, die in ihrem
Stoffwechsel Sauerstoff aus der Luft umsetzten (aerobe
Bakterien) und zu Photosynthese fähig sind, als Erstes ins Auge.
Doch die ersten zwei Milliarden Jahre gab es auf der Erde kaum
oder gar keinen freien Sauerstoff, und dennoch gediehen
Mikroben in den unterschiedlichsten Umgebungen, indem sie
Alkohol fermentierten, Methan produzierten und Sauerstoff aus
Schwefelsalzen gewannen. Manche Mikroben folgen heute noch
dieser urzeitlichen Lebensweise, und genau von diesen können
wir uns am ehesten Hinweise auf die frühesten Lebensformen
erhoffen. Wenn also heute noch eine obskure ökologische Nische
existiert, die in ihren Bedingungen an die von Asteroidenschauern
erschütterte, brodelnde Gashölle erinnert, die unsere Erde einmal
war, dann könnten wir dort, wenn wir sorgfältig genug
nachschauen, auf Mikroben stoßen, die sich seit der Entstehung
des Lebens nur wenig verändert haben.
Das Faszinierende ist nun, dass man solche exotischen
Schlupfwinkel tatsächlich gefunden hat, und zwar an Orten, wo
man sie am wenigsten erwartet hätte. Tief unter den Ozeanen, in
der vollkommenen Finsternis des Meeresgrunds, gibt es
Regionen, wo die Erdkruste nicht zur Ruhe kommt. Die
machtvollen thermischen Kräfte tief im Inneren des Planeten
zerren an den Felsschichten des Meeresbodens, verschieben sie
und reißen sie an manchen Stellen auseinander. Hier und da
entlang der mittelozeanischen Rücken kommen geschmolzenes
Gestein und eiskaltes Wasser in Berührung. Die Lava kühlt ab
und schrumpft zusammen, und es entsteht ein Netzwerk von
Rissen und Tunnels, durch die das Meerwasser zirkuliert und
Mineralien aus dem Felsen löst. An den Ausgängen entströmt
eine kochend heiße, mit zahlreichen Chemikalien angereicherte
Brühe. Der gewaltsame Kontakt zwischen der überhitzten
Flüssigkeit und dem kalten Meerwasser führt zu einem
chemischen und thermischen Pandämonium.
Es erscheint unvorstellbar, dass Leben in irgendeiner Form eine
so rauhe Umwelt eher ein Hades als ein Garten Eden ertragen
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