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man ängstlich, zerkratzt, verschwollen und am ganzen
Körper mit blauen Flecken übersät war.
Als sie sich den zerfetzten Poncho wieder überstreifen
wollte - der Rucksack würde danach kommen -, und dabei
in den Bach sah, fiel ihr auf, wie schlammig seine Ufer
unmittelbar über dem Wasser waren. Sie ließ sich auf ein
Knie nieder, verzog schmerzlich das Gesicht, als der Bund
ihrer Jeans an den Wespenstichen über ihrer Hüfte rieb, und
nahm mit einem Finger etwas von der schmierigen braun-
grauen Masse. Sollte sie oder nicht?
»Na ja, was kann's schaden?« fragte Trisha mit einem
kleinen Seufzer und betupfte die Schwellung über ihrer
Hüfte mit dem Schlamm. Er war wohltuend kühl, und das
schmerzhafte Jucken verschwand fast augenblicklich. Vor-
sichtig tupfte sie Schlamm auf alle Stiche, die sie erreichen
konnte - auch auf den, von dem ihr linkes Auge fast
zugeschwollen war. Danach wischte sie sich beide Hände
an ihren Jeans ab (Hände wie Jeans befanden sich jetzt in
erheblich schlechterem Zustand als vor sechs Stunden),
streifte den zerfetzten Poncho über und schlüpfte dann mit
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den Armen durch die Tragriemen ihres Rucksacks. Zum
Glück lag er am Körper an, ohne an einer der Stellen zu
scheuern, wo die Wespen sie gestochen hatten. Trisha ging
entlang des Bachufers weiter und fünf Minuten später war
sie wieder von Wald umgeben.
Sie folgte dem Bach ungefähr vier Stunden lang und hörte
währenddessen nichts als Vogelgezwitscher und das pau-
senlose Brummen der Insekten. In dieser Zeit nieselte es
meistens, und einmal ging ein so heftiger Schauer nieder,
daß Trisha erneut völlig durchnäßt wurde, obwohl sie sich
unter den größten Baum flüchtete, den sie finden konnte.
Wenigstens ging der zweite Wolkenbruch ohne Blitz und
Donner vonstatten.
Trisha hatte sich noch nie so sehr als Stadtkind gefühlt, wie
sie es jetzt tat, als dieser elende, schreckliche Tag fast
unmerklich in die Abenddämmerung überging. Der Wald
schien sich in Klumpen zusammenzuballen. Einige Zeit
ging sie durch große alte Kiefernbestände, die fast normal
wirkten - wie die Wälder in einem Disney-Cartoon. Dann
kam wieder einer dieser Klumpen, und sie mußte sich durch
ein verfilztes Dickicht aus verkümmerten Bäumen und
dichtem Gestrüpp (mit allzu vielen Dornenbüschen) kämp-
fen, mußte sich ihren Weg durch miteinander verwobene
Zweige bahnen, die mit ihren Klauen nach ihren Armen und
Augen griffen. Sie zu behindern schien ihr einziger Zweck
zu sein, und als bloße Müdigkeit allmählich zu Erschöpfung
wurde, begann Trisha ihnen wirkliche Intelligenz beizumes-
sen: eine verschlagene und bösartige Wahrnehmung von
dieser Fremden in dem zerfetzten blauen Poncho. Sie hatte
allmählich den Eindruck, als sei ihr Bestreben, sie zu zer-
kratzen - oder ihr durch einen glücklichen Zufall vielleicht
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sogar ein Auge auszustechen -, im Grunde genommen
nebensächlich; in Wirklichkeit legten die Büsche es darauf
an, sie vom Bach abzudrängen - weg von ihrem Pfad zu
anderen Menschen, weg von ihrem Ticket nach draußen.
Trisha war bereit, den Bach aus den Augen zu lassen, wenn
die Klumpen von Bäumen und das Gewirr von Büschen am
Ufer zu dicht wurden, aber sie weigerte sich, ihn außer
Hörweite geraten zu lassen. Wurde ihr das Murmeln des
Bachs zu leise, ließ sie sich auf Hände und Knie nieder und
kroch lieber unter den hinderlichsten Zweigen hindurch, als
sie zu umgehen und anderswo einen Durchschlupf zu
suchen. Dieses Kriechen über die aufgeweichte und klatsch-
nasse Erde war am schlimmsten (in den Kiefernhainen war
der Boden trocken und angenehm weich mit Nadeln be-
deckt; in den verfilzten Dickichten schien er immer naß
zu sein). Ihr Rucksack streifte die verwobenen Zweige und
Ranken, verfing sich manchmal sogar darin ... und die
ganze Zeit, unabhängig davon, wie schwierig das Fortkom-
men war, hing und tanzte die Wolke aus Gnitzen und
Stechfliegen vor ihrem Gesicht.
Sie verstand, was die ganze Sache so schlimm, so entmuti-
gend machte, konnte es aber nicht in Worte fassen. Es hing
mit all den Dingen zusammen, die sie nicht benennen
konnte. Einiges von diesem Zeug kannte sie, weil ihre
Mutter es ihr erklärt hatte: die Birken, die Buchen, die Erlen,
die Fichten und Kiefern; das dumpfe Hämmern eines
Spechts und den heiser krächzenden Schrei der Krähen; das
an eine quietschende Tür erinnernde Zirpen der Grillen, als
der Tag zur Neige ging ... aber was war all das andere? Falls
ihre Mutter es ihr gesagt hatte, konnte Trisha sich nicht
mehr daran erinnern, aber sie glaubte nicht, daß ihre Mutter
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es ihr jemals gesagt hatte. Sie wußte recht gut, daß ihre
Mutter in Wirklichkeit eine Städterin aus Massachusetts
war, die seit einiger Zeit in Maine lebte, gern im Wald
wanderte und ein paar Naturführer gelesen hatte. Was zum
Beispiel waren die dicht belaubten Büsche mit den glänzen-
den grünen Blättern (bitte, lieber Gott, nicht Gifteichen)?
Oder die kleinen, kümmerlich aussehenden Bäume mit den
staubgrauen Stämmen? Oder die anderen mit den schmalen
hängenden Blättern? Die Wälder um Sanford, die Wälder,
die ihre Mutter kannte und in denen sie wanderte - manch-
mal mit Trisha und manchmal allein -, waren Spielzeug-
wälder. Dies war kein Spielzeugwald.
Trisha versuchte, sich Hunderte von Suchern vorzustellen,
die auf sie zukamen. Sie besaß eine lebhafte Phantasie, und
anfangs fiel ihr diese Vorstellung ganz leicht. Sie sah große
gelbe Schulbusse, auf deren Fahrtzielanzeige die Worte
SONDERFAHRT SUCHTRUPP standen, überall im Westen
von Maine auf Parkplätzen entlang des Appalachian Trails
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